Bevor ich mit dem Stimmen beginne, versuche ich möglichst viele Informationen über das Klavier zu bekommen. So ist zum Beispiel das Alter relevant für die Entscheidung über die mögliche Tonhöhe des Pianos. Anhand des Markennamens sowie einer Seriennummer kann man das Alter bestimmen. Doch bevor ich diese Information mit meinem Kunden teile, frage ich gerne: Was denken Sie, wie alt wird Ihr Klavier sein? Als Antwort erhielt ich diesmal als grobe Schätzung die Zahl 50 Jahre. Die Aussage findet ihren Hintergrund in der Tatsache, dass das Pianoforte vermutlich in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts äußerlich modernisiert worden ist. Das alte Möbel wurde durch eine zeitgemäße Verpackung ersetzt. Derartige Modernisierungen waren in der Zeit gefragt, da wir uns bemühten, alle Erinnerungen an die schlechte Zeit des Zweiten Weltkriegs zu verdrängen. Unser Instrument war jedoch lange vor dem Zweiten Weltkrieg nämlich bereits 1905 gebaut worden. Wenn man sich einmal kurz bewusst macht, was das bedeutet, dann stellt man fest: Das Klavier wurde vor der Erfindung des Otto-Motors sowie vor der Erfindung des Radios gebaut und ist nicht nur einfach 112 Jahre alt geworden, sondern hat auch noch zwei Weltkriege überstanden.
August-Förster-Klavier von 1905 offen.
Auf unserem Piano steht der Markenname August Förster. Das ist ein alter deutscher Klavierbauer (gegründet 1859), dessen Produktion heute noch in Löbau bei Leipzig zu finden ist. Nur damals hatte die Fabrik die Ausmaße einer kleinen Stadt. Und es gab sogar eine Zweigfabrik in Georgswalde in Böhmen, aus dem nach dem Zweiten Weltkrieg Jiříkov wurde. Von diesen goldenen Zeiten des Klavierbaus um 1900 zeugt eine Art Werbung auf dem Resonanzboden. Diese Werbung ist nicht ganz leicht zu finden, da sie sich hinter der Klaviermechanik und unter den Saiten befindet.
Kleines Werbeplakat auf dem Resonanzboden des Klaviers von August Förster.
Ähnlich ist es mit der Werbung auf der Platte aus Gusseisen. In jedem Klavier ist als Spannungsträger für die hohe Spannung der Klaviersaiten eine Platte aus Gusseisen. Sie ist es, die das Klangmöbel so verflixt schwer macht. Die Gussplatte nutzten die alten Klavierproduzenten quasi als Homepage. Darauf wurde vermerkt, an welchen Weltausstellungen man teilgenommen hat und prämiert worden ist. Als Referenz steht auf unseren Piano unter anderem, dass man Kaiserlich-Königlicher-Hof-Pianofortefabrikant für Österreich und Sachsen war. Doch beide Formen der Werbung sind nicht für den Endkunden, sondern offensichtlich nur für die Klavierstimmer gedacht. Denn in der Regel bekommt ja niemand sonst das Innenleben des Pianofortes zu sehen. Das sind Geschichten aus einer Zeit, als man die Handelsmarke gerade einführte und Marketing noch nicht wirklich notwendig war, da das Klavier einem als Selbstläufer quasi direkt vor den Fabriktoren aus den Händen gerissen worden ist.
Stimmstock mit Wirbelfeld noch ohne Druckstab im Klavier von August Förster.
Zufällig habe ich am gleichen Tag an diese Stimmung anschließend ein modernes Klavier gestimmt. Vergleicht man die beiden Bilder vom Innenleben, so kann man wie bei einem Suchbild Gemeinsamkeiten und Unterschiede ermitteln. Auf dem Bild des neuen Klaviers von Kawai sieht man oben im Wirbelfeld einen recht dicken Druckstab, der Saiten vor den Stimmnägeln herunterdrückt. In Klavieren ist der Druckstab heute Standard. Doch unser Klavier von August Förster ist sowohl in der Mittellage als auch im Diskant so konstruiert, dass es noch ohne den Druckstab ausgekommen ist. Diese Variante trifft man heute nur noch sehr selten an. Daran kann man sehen, dass es ursprünglich auch andere Lösungen gab, und dass die heute üblichen Verfahren nicht unbedingt auch die besten sind.
Stimmstock mit Wirbelfeld mit Druckstab im Modell KS3 von Kawai.
Das Klavier wurde auf der vorhandenen Tonhöhe von 423 Hertz gestimmt. Darüber hinaus wurden einige Störgeräusche der Mechanik sowie des Pedals beseitigt. Am Schluss endet das Probespiel jedoch nicht wie erwartet. Mir ist nach der Stimmung nämlich aufgefallen, dass die Töne ungleich klingen. Das kann einem auch erst auffallen, wenn die Störungen der Verstimmung beseitigt sind. Das können Sie selbst prüfen, wenn Sie sich die Verstimmung anhören, und bei der Aufnahme zu erkennen versuchen, welche Töne anders als die Nachbartöne klangen - und sich dieser Unterschied einwandfrei nicht aus der Verstimmung ergibt. Erst ach dem Stimmen fällt auf, dass manche Töne schärfer klingen, andere wiederum lauter als die Nachbartöne. Daher schloss sich live eine ausgleichende Intonation, die ich parallel dem Kunden erläuterte. Diese Erläuterungen sowie den gesamten Umfang der Intonation habe ich gekürzt, so dass Sie nach lediglich einigen Sequenzen das letzte Probespiel des nun intonierten Pianos hören. Vergleichen Sie diese Aufnahme mit dem ersten Probespiel können Sie objektiv den erreichten Fortschritt ermitteln.
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